Die Gontner Seilzieherinnen freuen sich auf neue Trainingsmöglichkeiten auf der Sportanalage Schaies
Voller Einsatz und vor allem ungebrochener Teamgeist führen zum Erfolg
Bericht von Rolf Rechsteiner
Anders als das Schwingen ist das Seilziehen keine schweizerische Eigenheit, sondern ein weltumspannender Sport. Niemand weiss das besser als die Frauen des Seilziehclub Gonten. Sie mischen regelmässig mit bei Europa- und sogar Weltmeisterschaften.
Ihr Leistungsausweis ist beachtlich. In den letzten vier Jahren waren sie dreimal Schweizer Meisterinnen; 2018 gar ohne Punktverlust. Im Jahr zuvor beendeten sie die Saison als zweite der Schweizer Meisterschaft. Wen wunderts, dass Teile des Teams auch für die Nationalmannschaft aufgeboten sind. Deren Trainer, Franz Fässler, coacht auch die Gontnerinnen. Da weiss man, was man hat.
Erfolg reiht sich an Erfolg
Im Jahr 2018 brachten die Frauen von der WM in Südafrika gleich drei Medaillen zurück: Silber in der Kategorie Frauen bis 540 kg, Silber bis 500 kg mit sechs beziehungsweise fünf Gontnerinnen. Tanja Knechtle erkämpfte zusätzlich die Bronze in der Kategorie FrauenU 23 bis 500 kg. 2017 zog Tanja Knechtle in Southport (England) WM-Gold in der Kategorie U 23 an Land. Das Team Frauen bis 560 kg verteidigte den Europameistertitel, die Frauen bis 520 kg erkämpften EM-Bronze. 2016 fand die WM in Malmö (Schweden) statt. Das Frauenteam bis 500 kg und das Pendant bis 540 kg erreichten je den vierten Platz. 2015 kehrten die Gontnerinnen als Europameister in den Kategorien Frauen 520 kg und 560 kg aus Belfast zurück.
«Wir sind seit 1999 fast lückenlos an internationalen Wettkämpfen, sei es EM oder WM, in der Nationalmannschaft vertreten», sagt Judith Dähler, die Kassierin des Seilziehclubs Gonten. Wäre nicht immer wieder Erfolge wie die oben genannten zu feiern gewesen, hätten sie längst die Finger davon gelassen, denn: «Wir finanzieren unsere Reisen vorwiegend aus privaten Mitteln», sagt Tanja Knechtle. Sie ist am Tau, aber auch als Festwirtin beim Heimturnier (Kassenfüller) eine wichtige Stütze des Clubs. Die Frauen betrachten die internationalen Wettkämpfe als Aktivferien mit erhöhtem Genussfaktor. «Wir kommen in der Welt herum», sagt Judith Dähler. Reserven in der Clubkasse, von Clubsponsoren und ein Zustupf des Kantons decken einen Teil der jährlichen Ausgaben ab.
WM 2012 in Appenzell
Nie so sehr wie im Jahr 2012 habe der Seilziehsport ein herausragendes Fenster zur Welt geöffnet für Appenzell, das die Weltmeisterschaft auf der Sandgrube ausrichtete. Der perfekt organisierte Anlass habe bis heute einen tollen Nachhall in der Szene. Für die Gontnerinnen, die mit den eigenen Teams einen kompletten Medaillensatz bei den Frauen, mit der Nationalmannschaft «nur» den vierten Platz errangen, bliebe ein Wermutstropfen – wäre nicht der gewaltige Publikumsaufmarsch – alle Skeptiker waren am Ende auf dem Platz – und das Heer von freiwilligen Helferinnen und Helfern gewesen. Man hat die Randsportart zuvor belächelt und am Ende nur noch gestaunt: An einer WM sind bei den Frauenkategorien üblicherweise zehn bis zwölf Nationen vertreten, darunter die USA, Südafrika und Chinese Taipeh. Letztere seien auf Spitzenleistung getrimmte Modellathletinnen, die täglich fünf Stunden und mehr am Seil um im Kraftraum trainieren müssen, um überhaupt ein Aufgebot zu erhalten. Die Gontnerinnen trainieren zweimal wöchentlich am Seil, absolvieren daneben individuell noch zusätzlich Kraft- und Ausdauertrainings.
Das Gewicht als Hürde
Auch über Gewichtsklassen lässt sich philosophieren. Judith Dähler relativiert das Problem. Sie hätten im 13-köpfigen Team untereinander eine stille Absprache. Jede Athletin achte darauf, in etwa ihr Wettkampfgewicht zu halten. Am Turniertag muss jede einzeln auf die Waage des Turnierveranstalters. Ist das totale Mannschaftsgewicht zu hoch, muss die Mannschaft Gewicht verlieren, in erster Linie durch Flüssigkeit, also im Dauerlauf schwitzen. Wahlweise kann jemand ausgewechselt werden. Nach dem Wiegen bleiben dem Team zwischen anderthalb und zwei Stunden, um sich aufzubauen. Gezieltes Essen, vor allem in Form von Kohlehydraten und Getränken werden zugeführt. „Jede Athletin hat ihre Vorlieben und bringt selber mit, was ihr erfahrungsgemäss gut bekommt und das nötige Stehvermögen für den Wettkampf garantiert“, sagt Tanja Knechtle.
Nachteilig ist es selbstredend, wenn eine Mannschaft mit Untergewicht in den Wettkampf steigen muss. Da fehlen die Reserven, die gegen starke Gegnerinnen mobilisiert werden müssen. Passiert sei das auch schon, weil das Feld der Aktiven doch sehr begrenzt ist. Falls erfahrene Seilzieherinnen wegen Terminproblemen, Krankheit oder einer Babypause ausfallen, ist es wichtig Nachwuchs zu haben und diesen um diesen einsetzten zu können. So wurde etwa Anja Sutter, eine der aktuellen Nachwuchsseilzieherinnen, am letzten Frauenturnier der laufenden Saison nach vier Wochen Training in die Mannschaft eingewechselt.
Die Chancen nutzen
Mit Blick auf die neue Trainingsanlage wollen die Seilzieherinnen weiter ihren Nachwuchs fördern. Seit drei Jahren trainieren sie eine Schülermannschaft, die an mehreren Schülerturnieren teilnimmt. Der Zugang ist schon ab der 1. Klasse möglich, und wer „am Seil“ bleibt, kann schon ab dem 13. Altersjahr bei den Aktiven aushelfen, um möglichst bald fix ins Team aufgenommen zu werden. Vor den Schülerturnieren werden jeweils zwei Sondertrainings durchgeführt. Im laufenden Jahr steht für Schüler und Schülerinnen nur noch die Schweizer Meisterschaft in Sevelen am Sonntag, 1. September 2019, auf dem Programm. Der Absicht entnimmt man eine Einladung: „Wir möchten unsere Freude am Seilziehen an die Jugend weitergeben und hoffen erneut eine lustige Truppe zu finden, die sich mit uns ins Abenteuer stürzt.“